Der BU-Kurs (Grundlehrgang für Kanzleimitarbeiterinnen)
Beim „BU-Kurs“ handelt es sich um den ältesten Ausbildungskurs für Mitarbeiterinnen österreichischer Rechtsanwälte. Er wird von dem im Jahr 1922 gegründeten „Österreichischen Rechtsanwaltsverein“ durchgeführt, zu dessen Aufgaben neben der Abwehr unlauterer Eingriffe in die Tätigkeitsfelder der Rechtsanwälte von Anfang an auch die Aus- und Fortbildung von Kanzleimitarbeiterinnen gehörte.
Die Anfänge dieser Ausbildung liegen etwas im Dunkeln, es kann aber davon ausgegangen werde, dass die Schulungen bereits zur Zeit der Gründung des Österreichischen Rechtsanwaltsvereins im Jahr 1922 einen wesentlichen Tätigkeitsbereich abdeckten. Tatsächliche Unterlagen sind allerdings erst seit den 50er Jahren vorhanden, etwa ein Prüfungsprotokoll vom 14.Dezember 1953 gemäß dem die aus drei Rechtsanwälten bestehende Prüfungskommission insgesamt vierzehn Teilnehmerinnen prüfte und benotete.
Das Akronym „BU“ im Titel steht für den Begriff „Beglaubigungsurkunde“. Dem BU-Kurs lag der Gedanke zugrunde, dass Kanzleimitarbeitern ein fundiertes Wissen über die rechtlichen Aspekte in wichtigen anwaltlichen Tätigkeitsbereichen und die praktischen Abläufe in einer Rechtsanwaltskanzlei vermittelt werden soll, bevor ihnen eine Beglaubigungsurkunde nach § 31 Abs 3 ZPO ausgestellt werden soll.
Der Rechtsanwalt kann sich gemäß dieser Bestimmung bei den im Zwangsvollstreckungsverfahren vorkommenden Vollzugshandlungen, Tagsatzungen und Einvernehmungen durch eine bei ihm angestellte vertretungsbefugte Mitarbeiterin vertreten lassen. Die Vertretungsbefugnis wird vom Ausschuss der Rechtsanwaltskammer auf Antrag des Rechtsanwalts durch Ausfertigung einer Beglaubigungsurkunde gewährt. Bis zur ZPO-Novelle 2002 (BGBl I Nr. 76/2002) umfasste die Vertretungsbefugnis auch das Einschreiten im Rahmen der ersten Tagsatzungen. Diese wurde abgeschafft, in der an ihre Stelle getretene vorbereitende Tagsatzung ist nunmehr eine Vertretung durch Kanzleimitarbeiter nicht mehr möglich.
Die Bedingungen für die Ausstellung der Beglaubigungsurkunde legt die jeweilige Rechtsanwaltskammer fest, in der Regel wird dabei jedoch tatsächlich kein Ausbildungsnachweis gefordert. Allerdings erachtete es der österreichische Rechtsanwaltsverein schon aus standesrechtlichen Gründen für zweckmäßig, Kanzleimitarbeitern, die ihre Kanzlei nach außen vertreten auch das erforderliche Fachwissen zu vermitteln. Gem. § 40 Abs 2 RL-BA obliegt dem Rechtsanwalt die ordnungsgemäße Unterweisung und Beaufsichtigung von Kanzleiangestellten, Rechtsanwaltsanwärtern, berufsfremden Gesellschaftern und allen Dritten, insoweit sie mit Angelegenheiten der Kanzlei und der Klienten betraut sind, jegliche Form der elektronischen Datenverarbeitung miteingeschlossen.
Vor diesem Hintergrund wurde seit der Gründung des Österreichischen Rechtsanwaltsvereins besonderes Augenmerk auf die Ausbildung der Kanzleimitarbeiter gelegt. Von Beginn an wurden hier Grundlagen in den in Kanzleien regelmäßig auftauchenden Rechtsgebieten vermittelt, dazu gehören Zivil- und Zivilprozessrecht, Handels-, Unternehmens- und Gesellschaftsrecht, Strafrecht, Verwaltungs- und Verwaltungsverfahrensrecht, Gewerberecht, Grundbuchsrecht, Exekutionsrecht, Firmenbuchrecht, Außerstreitrecht, Insolvenzrecht, Standes- und Kostenrecht. Besonderer Wert wird dabei darauf auf den Praxisbezug gelegt, so dass den Kanzleimitarbeitern jene Inhalte nähergebracht werden, die unmittelbar im Kanzleibetrieb nutzbar und bedeutsam sind. Dies betrifft insbesondere Fristen aber auch wesentliche Hintergrundinformationen, die ein Verständnis für die Materie wecken sollen, um ein möglichst effektives Arbeiten im Kanzleibetrieb zu ermöglichen.
Bis zum Auftreten des Corona Virus wurden die BU-Kurse in Wien im Schulungszentrum des Oberlandesgerichtes Wien abgehalten. Dies war im Wesentlichen der Generalsekretärin des Österreichischen Rechtsanwaltsvereins, Mag. Susanne Schöner zu verdanken, die ständig um gute und enge Beziehungen zur Justiz bemüht ist. In regelmäßigen Abständen fanden aber auch Kurse in den einzelnen Bundesländern, häufig in den Räumlichkeiten der jeweiligen Rechtsanwaltskammern statt. Seit Corona werden die BU-Kurse als Hybridveranstaltungen durchgeführt, so dass die Teilnahme sowohl persönlich als auch online möglich ist.
Vortragende sind aktive Rechtsanwälte, die unter dem Motto „aus der Praxis für die Praxis“ ihre Erfahrungen im Kanzleibetrieb weitergeben. Eine Besonderheit des BU-Kurses ist jedoch der Umstand, dass in vielen Bereichen Rechtspfleger mit der Vortragstätigkeit betraut sind, da diese insbesondere in Exekutions-, Grundbuchs- und Firmenbuchssachen praxisnah erklären können, wie Anträge bei Gericht ankommen und welche Aspekte besonders zu beachten sind.
Die BU-Kurse sind so aufgebaut, dass in allen Fachbereichen Kurztests durchgeführt werden, um das Gelernte zu wiederholen und zu festigen, am Ende des Kurses findet eine abschließende mündliche Prüfung statt. Pro Jahr werden grundsätzlich drei Kurse abgehalten, davon ein Frühjahrs- und ein Winterkurs, in der Dauer von rund 4 Monaten jeweils Dienstag und Donnerstagabend in 2 Stunden Einheiten. Beim Sommerkurs handelt es sich um ein zweiwöchiges Blockseminar das zumeist Anfang Juli stattfindet.
Der BU-Kurs, der nunmehr unter der Bezeichnung „Grundlehrgang“ angeboten wird, bildet universell einsetzbare Kanzleiassistentinnen aus, die unabhängig von der in einer Rechtsanwaltskanzlei vorherrschenden Fachrichtung unmittelbar einen wertvollen Beitrag leisten können.
Zudem dient der BU-Kurs/Grundlehrgang auch als Grundlage für eine Reihe von Fortbildungen und Spezialseminaren, die vom Österreichischen Rechtsanwaltsverein angeboten werden.
RA Dr. Thomas Hofer-Zeni, 17.11.2024
Präsident des Österreichischen Rechtsanwaltsvereins